Bei der Beerdigung meiner Großmutter bemerkte ich, wie meine Mutter heimlich etwas in den Sarg legte. Meine Neugier ließ mir keine Ruhe, und später, als ich den Mut fand nachzusehen, hätte ich nie erwartet, was ich dort finden würde.
Meine Großmutter war für mich nicht nur ein Familienmitglied – sie war mein Halt, mein Kompass. Und nun stand ich vor ihrem Sarg und spürte eine Leere in mir.
Während die Anwesenden Erinnerungen austauschten, fiel mir auf, dass sich meine Mutter etwas abseits hielt. Als sie an den Sarg herantrat, sah ich, wie sie ein kleines Bündel hineinlegte, bevor sie schnell wieder zurücktrat.
Als alle gegangen waren, trat ich vorsichtig an den Sarg heran und blickte hinein. Mein Herz schlug heftig. Auf Großmutters Brust lag ein kleines Bündel, eingewickelt in ein altes Stofftaschentuch, das ich aus meiner Kindheit kannte – Großmutter trug es immer in ihrer Tasche.
Ich wickelte das Tuch vorsichtig auf – und erstarrte.
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Im Inneren lag ein vergilbtes Foto – darauf waren meine Großmutter als junge Frau und ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Unter dem Foto stand geschrieben: „Vergib mir, Viktor“.
Wer war das? Warum hatte meine Mutter das Foto in den Sarg gelegt?
In diesem Moment hörte ich eine leise Stimme hinter mir:
— Das hättest du nicht sehen sollen.
Ich erschrak und drehte mich um. Meine Mutter stand in der Tür und sah mich traurig an.
— Wer ist das, Mama? — fragte ich, während sich ein Gefühl der Unruhe in mir ausbreitete.
Sie trat näher.
— Das ist dein Großvater, — sagte sie leise.
Verwirrt starrte ich das Bild an.
— Wie bitte? Großmutter hat immer gesagt, Opa sei gestorben, als du noch klein warst…
Meine Mutter presste die Lippen zusammen und sah zur Seite.
— Das war nicht der Mann, den du als Opa kennst, — ihre Stimme zitterte. — Viktor war Großmutters erste große Liebe. Sie wollten zusammen sein, aber er wurde zu Unrecht ins Gefängnis gebracht. Als er wieder freikam, war sie bereits mit deinem „Opa“ verheiratet. Doch sie hat sein Foto all die Jahre aufbewahrt und ihm Briefe geschrieben…
Ich spürte, wie sich alles in mir drehte.
— Hat er sie wiedergefunden?
Meine Mutter nickte traurig.
— Ja. Sie trafen sich ein Jahr vor ihrem Tod. Großmutter bat ihn um Verzeihung, weil sie nicht auf ihn gewartet hatte. Er sagte, er habe ihr nie Vorwürfe gemacht.
Ich schwieg, wusste nicht, was ich sagen sollte.
— Sie wollte, dass er wenigstens so bei ihr ist, — meine Mutter deutete auf das Foto. — Es war ihr letzter Wunsch.
Vorsichtig legte ich das Foto zurück, wickelte es wieder ins Taschentuch und legte es dorthin, wo es gelegen hatte.